kladdebuchverlag

Wie ein Freiburger Start-up mit Innovation und künstliche Intelligenz das Verlagswesen revolutioniert

November 2022

Kurz & Knapp

  • Die Gründung des kladdebuchverlag
  • Die Zusammenarbeit mit der Volksbank Freiburg
  • Crowdpublishing - Der Einbezug von Kundinnen und Kunden
  • Ein Umdenken des Buchmarktes
  • Technische Innovationen und Zukunftsausblick

Lohnt sich die Gründung eines Buchverlages heute noch? Nebst der Deutungshoheit der großen Verlage werden klassische Bücher aus Papier immer seltener in die Hand genommen. Darunter leiden vor allem angehende, talentierte Schriftstellerinnen und Schriftsteller, deren Werke nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Jonas Al-Nemri bietet seit 2013 dieser Entwicklung mit seinem Unternehmen die Stirn. Sein Geheimrezept: Crowdpublishing und künstliche Intelligenz. Wir haben ihn und Daniel Ketterer von der Volksbank Freiburg zum Gespräch gebeten, um genaueres über den Verlag zu erfahren und wie es zur Zusammenarbeit zwischen beiden gekommen ist.

Herr Al-Nemri, Sie haben den kladdebuchverlag 2013 gegründet. Was hat Sie dazu bewogen? Gibt es zu wenig Verlage in Deutschland?

Im Rahmen eines Forschungsprojekt von Studierenden der Universitäten Freiburg, Hamburg und Zürich wollten wir den Einfluss von Innovationen am Buchmarkt testen. Um das nicht nur in der Theorie tun zu müssen, haben wir einen Modellverlag gegründet, um es an einem realen Case zu testen.

Ob es zu viele Verlage gibt? Das kommt echt darauf an, wen man fragt. Damals sagte man uns, es gäbe in jedem Fall genug. Aber das war ja zum Startpunkt gar nicht relevant für uns.

Wie vollzog sich die Gründung eures Verlags? Inwiefern konnte Sie da die Volksbank Freiburg unterstützen?

Tatsächlich lief der Verlag in der ersten Zeit als studentisches Projekt neben dem Studium. Erst 2019 haben wir uns dann entschieden auszugründen. Hier war die Volksbank Freiburg eine wichtige Partnerin im Gründungsprozess – bis heute.

Herr Ketterer, wie konnten Sie Herrn Al-Nemri konkret auf seinem Weg helfen?

In erster Linie konnten wir Herrn Al-Nemri bei kurzfristigem Liquiditätsbedarf unterstützen. Insbesondere bei zugesagten Investorengeldern, die noch nicht zur Verfügung standen, konnten wir Liquidität für die laufenden Kosten zur Verfügung stellen. Aktuell sind wir mit Herrn Al-Nemri außerdem bezüglich der Möglichkeiten von betrieblicher Zukunftsvorsorge im Austausch, um die Attraktivität als Arbeitgeber weiter zu steigern. Ziel ist es damit die Chancen des Unternehmens bei der Rekrutierung von neuen Arbeitskräften, aber auch zur Bindung der bestehenden Belegschaft zu optimieren.

Herr Al-Nemri, Sie schreiben auf eurer Website: „Wir wollen neu, wir wollen anders“. Was genau machen Sie neu bzw. anders? Und warum ist das im Verlagswesen überhaupt nötig?

Der Ansatz Bücher nicht allein als Textträger zu verstehen, die Leserinnen und Leser bereits bei der Entstehung eines Buches miteinzubeziehen und so eine Community aufzubauen, nachhaltiges Publizieren und Vielfalt im Buchmarkt zu fördern, war damals tatsächlich noch neu – insbesondere in einer der ältesten Branchen, der viele eher Innovationsscheu bescheinigen würden. Und ja, das stimmt tatsächlich. Die Medien- und Unterhaltungsbranche hat sich zu langsam der Digitalisierung und den damit verbundenen Veränderungen am Markt zugewandt, daher waren neue Ideen und Impulse super wichtig.

Sie haben die Community erwähnt und man liest bei Ihnen auch von „Crowdpublishing“. Was meinen Sie damit?

Dahinter steht die Beteiligung der Community an Entscheidungsprozessen und Bindung der Kundinnen und Kunden an die Marke. Hintergrund war dabei der Fakt, dass Verlage in aller Regel unsichtbar sind. Harry Potter kennt wirklich jeder. Die Autorin J.K. Rowling eventuell auch noch. Aber in welchem Verlag sind die Bände erscheinen? Das wissen die wenigsten. Und genau das ist das Problem. Crowdpublishing löst genau diesen Zustand ab und macht den Verlag nahbar und gibt ihm Identität.

Leserinnen und Leser entscheiden also mit, welche Bücher verlegt werden sollen. Wie läuft das ab? Machen Sie der Crowd einen Vorschlag im Sinne „Wir möchten das Buch x verlegen. Was meint ihr?“ und diese entscheidet dann, ob was daraus wird? Wurde ein Projekt schon mal von der Crowd abgelehnt?

Ja, eigentlich läuft es so ab. Das Buch wird über unsere Plattform vorgestellt und interessierte Leserinnen und Leser können das Buch erwerben, samt Premium Add-ons und exklusives Zusatzmaterial. Kommen ausreichend Menschen zusammen, die das Buch erwerben wollen, wird es umgesetzt.

Natürlich wurden auch schon Titel nicht umgesetzt, da die Community nicht begeistert wurde bzw. keine Leserschaft gewonnen werden konnte.

Ich kann mir denken, dass es für Crowdpublishing wichtig ist, ein Netzwerk von Leserinnen und Lesern zu haben. Wie hat der kladdebuchverlag seine Crowd aufgebaut?

Auf jeden Fall. Das ist wichtig. Letztlich ist aber Crowdpublishing auch der Schlüssel für Communitybuilding. Die Crowd wächst ja mit jedem Titel.

Finanziert sich der Verlag auch über die Crowd oder reichen dafür die Erlöse vom Verkauf der Bücher?

Eine Kampagne sichert die Kosten für die gesamte Buchproduktion ab. Gewinn wird dann nur über den späteren Verkauf erwirtschaftet.

Darüber hinaus setzen Sie sich für faire Honorare und einer nachhaltigen Produktion ein. Warum sind diese Punkte für Sie so wichtig?

Über den Punkt „ökologische Nachhaltigkeit“ müssen wir vermutlich nicht viel sagen – das liegt auf der Hand. Allerdings war die Branche auch hier sehr langsam und hat sehr spät auf nachhaltige Produktion gesetzt. Faire Honorare allerdings ist ein Punkt, den viele übersehen. Denn Autorinnen und Autoren erhalten tatsächlich nur einen geringen Teil, sodass sich Schreiben für viele kaum noch lohnt. Damit vermindert man aber zum einen die Vielfalt und zum anderen die Qualität der Texte.

Der Buchmarkt hat neben den vielen digitalen Unterhaltungsangeboten, etwa Streaming, soziale Netzwerke oder Audio-Angebote, einen schweren Stand. Glauben Sie, dass Crowdpublishing den Buchmarkt revolutionieren kann bzw. dass Ihr Ansatz Schule macht? Verlage müssen sich selbst neu denken. Wir haben sehr früh gesagt, dass es nicht mehr reicht, einfach nur Bücher zu machen. Communitybuilding – also das, wofür Crowdpublishing steht, ist in jedem Fall eines der Zukunftsthemen für die Branche.

Ihr Start-up treibt auch die Innovation voran. So hat sich neben dem Verlag das KI-HighTech Unternehmen Scriptbakery entwickelt. Wie ist es dazu gekommen?

In der Zusammenarbeit mit Verlagen fiel uns auf, dass das Manuskriptmanagement unterdigitalisiert war. Wir haben gesehen, dass Autorinnen und Autoren zahlreich Manuskripte einsandten, die meisten Verlage diese jedoch gar nicht effektiv nutzen konnten: mehr als 95% dieser Manuskripte werden ungelesen abgelehnt. Wir haben dann – eher zum Selbstzweck – ein Tool entwickelt, um den Manuskripteingang zu digitalisieren. Bald darauf haben wir uns mit der Entwicklung von KI-Modellen beschäftigt, um die Manuskripte automatisiert zu lesen und vorab bewerten zu können. Mit der Zeit wurden die Modelle so gut darin, Sprache zu verstehen, dass wir damit nicht mehr nur Buchtexte, sondern jede Form von Sprache analysieren konnten.

Was ist die große Innovation dahinter?

Das Verstehen natürlicher Sprache durch KI gilt als Königsdisziplin im Bereich künstlicher Intelligenz. Wir können daraus eine Vielzahl an Insights liefern: Wie verständlich ist ein Text? Welche Emotionen werden transportiert? Was sind die vorherrschenden Themen? Und vieles mehr.

Welches Ziel verfolgen Sie mit Scriptbakery?

Wir unterstützen mit unseren Algorithmen Unternehmen dabei maschinelles Textverstehen für sich zu nutzen. Dabei muss man sich bewusst machen, dass 80 Prozent aller Daten der Welt bisher ungenutzt sind, da sie sich in natürlicher Sprache befinden. Dabei lassen sich unsere KI-Modelle für verschiedenen Use Cases einsetzen: von Textanalysen über Trend Prediction bis hin zur Bekämpfung von Hass im Netz.

Herr Ketterer, ist dieser innovative Ansatz auch ein Grund, weshalb sie das Vorhaben von Al-Nemri unterstützen?

Absolut. Die Künstliche Intelligenz, die Herr Al-Nemri mit seinem Team entwickelt, bietet meines Erachtens nicht nur ein riesiges wirtschaftliches Potenzial, sondern auch einen signifikanten Mehrwert auf gesellschaftlicher Ebene, etwa in der Verhinderung von Hatespeech, wie Herr Al-Nemri erwähnt hat.

Und wohin soll sich Scriptbakery entwickeln, Herr Al-Nemri?

Aktuell fokussieren wir uns auf genau diesen Case: die Bekämpfung von Hatespeech und digitaler Gewalt im Netz. Wir schon beim Verlag ist uns gesellschaftlicher Impact sehr wichtig. Insbesondere, wenn wir eine so mächtige Technologie zur Verfügung haben, wollen wir diese auch mit Verantwortung und Nutzen für die Gesellschaft einsetzen. Hatespeech und Desinformation gelten aktuell als die größten Gefahren für Demokratien und Gesellschaften. Wir möchten hier unseren Beitrag leisten eben diese zu schützen. Hier suchen wir aktuell Kooperationpartner und Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die mit uns diesen Weg gehen wollen.

Was glauben Sie, Herr Ketterer, wie wird sich das Start-up in den nächsten Jahren entwickeln?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Herr Al-Nemri und sein Team Ihre gesteckten Ziele in den kommenden Jahren erreichen werden und gehe davon aus, dass das Unternehmen stark wachsen wird. Besonders die KI, die Scriptbakery entwickelt, bietet aus meiner Sicht ein schier unendliches Potenzial, welches gerade in Zeiten von Social Media weiterhin an Bedeutung gewinnt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Bildquelle: © DOTS