Er hat sich stets bemüht – Mythos Arbeitszeugnis

Der viel zitierte Satz „Er hat sich stets bemüht“ taucht in Arbeitszeugnissen ebenso selten auf, wie der Satz „Harry, hol schon mal den Wagen“ in der Krimiserie Derrick jemals tatsächlich gefallen ist.

Zum Thema Arbeitszeugnisse gibt es unzählige Ratgeber und Internetforen, in denen vermeintliche Zeugniscodes entschlüsselt werden und jede Formulierung akribisch seziert wird. Wir erstellen in der Volksbank Freiburg jährlich circa 50 Arbeitszeugnisse und analysieren die Arbeitszeugnisse von zahlreichen Bewerbungen. Ich möchte als Praktiker mit diesem Beitrag einen Einblick geben, wie wir Arbeitszeugnisse erstellen und was aus unserer Sicht bei Arbeitszeugnissen wichtig ist. Selbstverständlich ist dies eine rein subjektive Einschätzung.

Grundsätzlich ist es aufgrund der Arbeitsrechtsprechung in Deutschland nahezu unmöglich, einem Arbeitnehmer ein wirklich schlechtes Zeugnis auszustellen – auch wenn dies wegen der gezeigten Leistung vielleicht geboten ist. Erfolgt die Erstellung eines Arbeitszeugnisses aufgrund einer arbeitgeberinitiierten Trennung, ist bei einem Vergleich ein wohlwollendes Zeugnis, das einer guten bis sehr guten Bewertung entspricht, heute in der Regel gesetzt. Dieser Umstand relativiert leider die Bedeutung von Arbeitszeugnissen.

Meiner Meinung nach ist die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen aufgrund eines Vorgesetztenwechsels kritisch zu sehen, da diese häufig einen Gefälligkeitscharakter haben. Wir messen ihnen bei der Bewertung von Bewerbungen daher auch keine Bedeutung bei. Kritisch sehen wir auch Zwischenzeugnisse, die ausschließlich auf Wunsch eines Mitarbeiters erstellt worden sind. Denn dies deutet häufig auf eine Unzufriedenheit und/oder ein gestörtes Arbeitsverhältnis hin. Wir sehen daher bei Bewerbungen keine Notwendigkeit für ein Zwischenzeugnis vom aktuellen Arbeitgeber. Arbeitszeugnisse aufgrund von Fusionen oder Betriebsübernahmen sind hingegen obligatorisch und auch sinnvoll.

 

Ein wirklich schlechtes Zeugnis ist in Deutschland aufgrund der Arbeitsrechtsprechung kaum möglich
Die Bewertung der Kriterien funkitoniert über Verstärker (sehr) und einen Zeitbezug (stets, jederzeit, immer).

Arbeitszeugnisse aus der „Fabrik“

In großen Unternehmen/Konzernen werden Arbeitszeugnisse zunehmend in sogenannten „Shared-Service-Centern“ softwareunterstützt fabrikmäßig von Sachbearbeitern erstellt, die keinerlei Bezug zu den Mitarbeitern haben. Bei uns werden die Arbeitszeugnisse hingegen noch in „Handarbeit“ erstellt. Selbstverständlich haben wir zu unseren Mitarbeitern aufgrund unserer Größe einen Bezug. Wir stimmen die Inhalte und Aufgabenschwerpunkte mit den Vorgesetzten und in der Regel auch mit dem Mitarbeiter ab. Ein Zeichen unserer Wertschätzung ist es, dass alle Arbeitszeugnisse von einem Vorstandsmitglied und mir als Personalleiter unterschrieben sind. Achten sollte man vor allem beim Austritt aus einem Unternehmen auf das Ausstellungsdatum des Arbeitszeugnisses. Hier ist das Monatsende obligatorisch. Jede Abweichung hiervon, mit Ausnahme bei Austritt nach Elternzeitende, ist kritisch zu sehen.

In der modernen Zeugnissprache werden Arbeitszeugnisse in der Gegenwartsform geschrieben. Dies ist besser lesbar und zudem sinnvoll, da das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Erstellung ja noch besteht. Insofern sind unsere Arbeitszeugnisse immer in der Gegenwartsform geschrieben.

Chronologie und Aufgaben im Arbeitszeugnis

Das Arbeitszeugnis startet mit der Chronologie der Stationen des Arbeitnehmers im Unternehmen. Die Chronologie ist als einziger Part nachvollziehbar in der Vergangenheitsform gehalten. Ist schon zu einem früheren Zeitpunkt ein Arbeitszeugnis zu einzelnen Stationen erstellt worden, erfolgt ein entsprechender Hinweis. Wichtig ist, dass in der Chronologie nicht jede interne Umstrukturierung dokumentiert sein muss, wenn die Funktion dem Grunde nach gleich geblieben ist. Für Außenstehende kann dies sonst verwirrend wirken. Für die wesentlichen Stationen, für die noch kein Arbeitszeugnis vorliegt, werden dann die Schwerpunktaufgaben aufgeführt. Schwerpunktaufgaben heißt für uns fünf bis maximal acht Aufgaben, die die Tätigkeit charakterisieren. Hier kann, auch wegen der Lesbarkeit, keine vollständige Auflistung erfolgen.

Bei Führungskräften erfolgt zudem eine Beurteilung des Führungsverhaltens mit einer Angabe zur Führungsspanne des Mitarbeiters. Wir treffen bei Vertriebsberatern immer auch eine Aussage zur Vertriebstätigkeit des Mitarbeiters.

Fehlt eine dieser Kriterien kann dies ein Hinweis darauf sein, dass das Kriterium vom Arbeitgeber kritisch gesehen wird. Die Reihenfolge spielt aus meiner Sicht hierbei keine Rolle.

Bewertungssprache in Arbeitszeugnissen

Gemäß dem Grundprinzip, dass es eigentlich keine schlechte Beurteilung im Arbeitszeugnis geben darf, erfolgt die Bewertung der Kriterien über Verstärker (sehr) und einen Zeitbezug (stets, jederzeit, immer). Dies macht zum Beispiel folgende Bewertung der Arbeitsqualität deutlich:

  • Mit der Arbeitsqualität sind wir zufrieden (schlechte Bewertung)
  • Seine Arbeit ist von guter Qualität (durchwachsene Bewertung)
  • Seine Arbeit ist jederzeit von guter Qualität (gute Bewertung)
  • Seine Arbeit ist jederzeit von sehr guter Qualität (sehr gute Bewertung)
Wichtig ist hierbei, dass bei der Beurteilung eines Kriteriums nicht zwanghaft jede Eigenschaft mit einem Verstärker (sehr) und / oder Zeitbezug (stets) versehen sein muss, um einer guten bis sehr guten Bewertung zu entsprechen. Eine durchgängig inflationäre Verwendung kann das Zeugnis eher verdächtig machen: Es kann der Eindruck entstehen, dass die Bewertung nicht der Realität entspricht.
Die Verhaltensbeurteilung hat vor allem in Bezug auf die Teamfähigkeit des Mitarbeiters eine wichtige Aussagekraft.

Ganz wichtig: Die zusammenfassende Leistungsbewertung

Wichtig sind der Zeitbezug und der Verstärker in der zusammenfassenden Leistungsbewertung und im Verhalten gegenüber Vorgesetzten,
Mitarbeitern und Kunden, da diese beiden Kriterien eine herausragende Bedeutung für das Arbeitszeugnis haben.

Die Erwartungshaltung vieler Mitarbeiter bei der zusammenfassenden Leistungs-bewertung zielt menschlich durchaus nachvollziehbar immer auf eine sehr gute Bewertung ab, wie beispielsweise im folgenden Passus:

Die Leistungen von Herrn X.  entsprechen stets unserer vollsten Zufriedenheit.

Hier plädiere ich für etwas mehr Realismus und Gelassenheit. Eine sehr gute zusammenfassende Bewertung bedingt bei uns immer eine nachhaltig herausragende Gesamtbewertung über viele Jahre und ist absoluten Leistungsträgern vorbehalten. Diesen Nachweis kann zumindest in unserem Verständnis ein Mitarbeiter in ein oder zwei Jahren nicht wirklich erbracht haben. Es gilt aber, dass eine gute Bewertung (stets zu unserer vollen Zufriedenheit) auch wirklich eine gute Bewertung ist. Unserer Erwartungshaltung an Bewerber ist daher eine gute zusammenfassende Leistungsbewertung in ihren Arbeitszeugnissen. Wenn Arbeitgeber hier zu generös sind, entwertet dies die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen und die Arbeit von wahren Leistungsträgern. Den Passus „Er hat sich stets bemüht“ habe ich in meiner ganzen beruflichen Praxis in keinem Arbeitszeugnis von Bewerbern je gelesen.

Die Verhaltensbeurteilung hat vor allem in Bezug auf die Teamfähigkeit und die „Führbarkeit“ des Mitarbeiters eine wichtige Aussagekraft im Arbeitszeugnis. Ein Beispiel für eine gute Bewertung ist der folgende Passus:

Mit seinem freundlichen, angenehmen und hilfsbereiten Wesen ist er bei Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden gleichermaßen geschätzt und anerkannt. Sein Verhalten ist stets einwandfrei.

In vielen Ratgebern zum Thema Arbeitszeugnis wird darauf hingewiesen, dass eine Veränderung der Reihenfolge: Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden ein Hinweis darauf sein kann, dass der Mitarbeiter Probleme mit seinen Vorgesetzten hatte. Ich denke, hier sollte man die Kirche im Dorf lassen, denn in vielen Unternehmen wird bewusst der Kunde immer an erster Stelle genannt.

Eine individuelle Komponente veredelt jedes Arbeitszeugnis
Ein wirklich sehr gutes Zeugnis erkennt man immer auch an einer individuellen Komponente. Hierzu zählen beispielsweise das Herausstellen von besonderen Stärken des Mitarbeiters oder die Beschreibung besonderer Leistungen und Wertbeiträge für das Unternehmen.

Der Schlussakkord im Arbeitszeugnis
Am Ende des Arbeitszeugnisses steht die Schlussformel, die ein gutes bis sehr gutes Arbeitszeugnis unterstreichen oder aber entwerten kann. Die Schlussformel sollte bei einem guten bis sehr guten Arbeitszeugnis immer ein Bedauern über den Weggang, einen Dank für die geleistete, erfolgreiche Arbeit und Wünsche für den weiteren Werdegang enthalten.

Wird dem Mitarbeiter ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt, die Schlussformel ist aber sehr dürr gehalten, wie beispielsweise in diesem Passus:

Das Arbeitsverhältnis endet zum 30. Juni 2014. Wir danken Herrn X  für seine Mitarbeit und wünschen ihm für seinen weiteren Berufs- und Lebensweg alles Gute.

dann ist das Arbeitszeugnis entwertet und ein klarer Hinweis darauf, dass die Bewertung nicht der Einschätzung des Arbeitgebers entspricht. Positiv unterstreichen würde ein sehr gutes Arbeitszeugnis hingegen folgende Schlussformel:

Herr X  scheidet auf seinen eigenen Wunsch zum 30. Juni 2014 aus unseren Diensten aus. Wir bedauern seinen Weggang sehr und danken ihm für seine engagierte und erfolgreiche Mitarbeit. Für seinen weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihm alles Gute.

Fazit: Alles halb so schlimm!
Arbeitszeugnisse sind ein wichtiges Dokument über die Leistungsfähigkeit, die Arbeitsweise und das Verhalten von Mitarbeitern. Ich rate dazu, Arbeitszeugnisse immer als Ganzes zu betrachten. Wenn die Bewertung aus Sicht des Mitarbeiters ein realistisches Gesamtbild widerspiegelt und die aufgeführten Hinweise im Wesentlichen erfüllt sind, dann besteht kein Anlass, misstrauisch zu sein. Selbstverständlich kann man mit Personalern über sein Arbeitszeugnis reden. Was aber gar nicht gut ankommt, ist eine Maßlosigkeit hinsichtlich der eigenen Bewertung oder der Hinweis auf einen Experten im Freundeskreis. Wovon ich dringend abrate ist, das Arbeitszeugnis selbst zu schreiben. Dies fällt Experten sicher auf und entwertet damit jedes Zeugnis.

 

Jens Hupperich

ist seit 2007 Personalleiter der Volksbank Freiburg. Ihm ist wichtig, die Stärken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erkennen, sie zu fördern und dort einzusetzen, wo sie Spaß und Sinnstiftung im Beruf erleben können. Privat steht für ihn seine Familie im Vordergrund.