Sie verfügen über einen Bachelor- und Masterabschluss mit besten Noten, haben erfolgreich promoviert, sind berufserfahren und gerade einmal Mitte zwanzig? Dann gratuliere ich herzlich. Wenn Sie sich nicht der Wissenschaft verschrieben haben, sind Sie sicher für eine renommierte Unternehmensberatung oder bei einem „Global Player“ tätig. Das ist auch gut so, denn in unser „Beuteschema“ passen Sie nicht. Sie werden es sicher verschmerzen. Was für uns bei Bewerbern wichtig ist und was wir von sogenannten geraden Lebensläufen halten, möchte ich mit diesem Beitrag vor allem Interessierten vermitteln, die eben nicht in allen Belangen „perfekt“ sind.
Der gerade Lebenslauf

Selbstverständlich legen auch wir großen Wert auf Leistungsmotivation und Fachkompetenz unserer Mitarbeiter. Bei uns zählt aber weniger das „Lametta“ sondern vielmehr, was der Einzelne „auf dem Platz“ zeigt, also die gelebte Fachkompetenz und ganz wichtig, die Praxistauglichkeit. Wir suchen Menschen mitten aus dem Leben, Menschen mit Ecken und Kanten, klaren Wertvorstellungen und einer gesunde Portion Pragmatismus und Bodenhaftung – Menschen eben, wie es die meisten unserer Kunden auch sind.
Was ist eigentlich ein gerader Lebenslauf?
In Deutschland wurde und wird seit vielen Jahrzehnten ein lückenloser, gerader Lebenslauf als Grundvoraussetzung für Karriere propagiert. Zu einem geraden Lebenslauf gehören: Top-Qualifikationen mit besten Noten, kontinuierliche Wechsel des Arbeitgebers – immer verbunden mit dem nächsten Karriereschritt, herausragende Arbeitszeugnisse und eben auf keinen Fall eine zeitliche Lücke oder ein Zeichen von Schwäche oder gar des vermeintlichen Scheiterns.
Ein anderer Blickwinkel für die Definition des Begriffs Karriere
Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang, den Begriff Karriere zu definieren. Aus meiner Sicht ist eine berufliche Karriere dann erfolgreich, wenn der Mensch am Ende seines Berufslebens mit Überzeugung sagen kann, das was ich getan habe, hat alles in allem Spaß gemacht, war sinnstiftend und ich würde es wieder genauso machen. Da spielt es dann eine vollkommen untergeordnete Rolle, ob diese Bilanz ein Vorstand, ein Bereichsleiter, ein Servicemitarbeiter oder ein Firmenkundenberater am Ende seines Berufslebens zieht.
Der Spätstarter
Wir alle wissen, dass das Phänomen des Spätstarters gerade bei jungen Männern weit verbreitet ist. Wir erleben dieses Phänomen immer wieder beim Bewerbungsprozess unserer Azubis. Die jungen Damen präsentieren sich häufig zielbewusster, ehrgeiziger und in der Persönlichkeit reifer als die männlichen Bewerber – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
Aber einmal ganz unabhängig vom Geschlecht, manche Menschen benötigen einfach etwas länger, um „in die Spur zu kommen“, um zu wissen, welcher Beruf am besten zu ihnen passt. Ist dies bezogen auf ein ganzes Berufsleben von 40 bis 45 Jahren ein Problem? Nein, ganz bestimmt nicht. Wichtig ist aber dennoch, dass es irgendwann, spätestens Mitte/Ende 20 keine Ausreden mehr in Bezug auf schlechte Lehrer, eine schwierige Kindheit et cetera geben kann. Dann heißt es, Verantwortung zu übernehmen und Nachweise für die eigene Leistungsfähigkeit abzuliefern.
Alle die in der Schule nicht in der Champions League gespielt haben, sollten sich einmal ansehen, was aus den damals besten eigentlich geworden ist. Sind es nicht oftmals die „Hallodries“ von damals, die später beachtliche Karrierewege bestreiten oder als Unternehmer erfolgreich sind? Tröstlich ist zudem, dass die Bedeutung von Schul- und Examensnoten mit zunehmender Berufserfahrung immer mehr verblasst.

Der Quereinsteiger
Interessant sind Lebensläufe immer dann, wenn Sie sich von der Masse abheben. Ein Beispiel hierfür ist der Quereinsteiger. In unserer Bank gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl von Mitarbeitern, die aus ganz anderen beruflichen Zusammenhängen zur Bank gestoßen sind. Bei uns sind dies unter anderem: Naturwissenschaftler, Ingenieure, Journalisten, Historiker, Pädagogen, IT-Profis, Menschen aus dem Hotelbusiness und dem Einzelhandel, Handwerker oder ein ehemaliger Eishockey-Profi. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies für jedes Unternehmen und gerade für eine Bank sehr inspirierend und bereichernd ist.
Der Aufsteiger
Sehr interessant sind Lebensläufe von Menschen, die eine klare Aufstiegsmentalität widerspiegeln, von Menschen denen nichts geschenkt wurde. Mich beeindrucken Bewerber, die ihre Schulkarriere mit einem Hauptschulabschluss starten, dann die mittlere Reife erwerben und mit dem Abitur abschließen. Heute haben diese Menschen häufig einen Migrationshintergrund. Auch in der Volksbank Freiburg arbeiten viele Mitarbeiter mit einer derartigen oder ähnlichen Biographie – oftmals zudem mit einem akademischen Abschluss.
Der temporäre Aussteiger
Früher war eine berufliche Auszeit mitten im Erwerbsleben, sei es für einen Auslandsaufenthalt oder aus familiären Gründen, gleichbedeutend mit dem Stempel „EDEKA – Ende der Kariere“. Dies hat sich Gott sei Dank gesamtgesellschaftlich geändert – auch in der Volksbank Freiburg. Die Familienphase darf nicht karrierefeindlich sein. Dass gerade bei Frauen eine Familienphase den Karriereturbo aber erschwert oder zumindest verlangsamt, ist, um ehrlich zu sein, dennoch auch heute noch Fakt. Dies zu beleuchten, wäre sicher einen eigenen Blog-Beitrag wert.

Wir bieten Mitarbeitern, die eine Auszeit nehmen möchten – in der Regel für einen längeren Auslandsaufenthalt, grundsätzlich die Möglichkeit für ein sogenanntes Sabbatical. In dieser Zeit ruht das Arbeitsverhältnis. Die Entscheidung hierüber ist immer einzelfallbezogen. Grundvoraussetzung ist eine konstant gute bis sehr gute Leistung. Der Mitarbeiter muß zudem nach seiner Rückkehr bereit sein, auch andere Aufgaben in der Bank zu übernehmen. Unsere Auszubildenden haben nach Ausbildungsende ebenfalls die Möglichkeit, zeitversetzt in das Berufsleben zu starten, um einen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen.
Wer also im Herzen den Traum für eine längere Auslandsreise in sich trägt, sollte ihn keinesfalls aufgeben, weil sich dies im Lebenslauf oder aber für die Karriere nicht gut macht. Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen, die sich einen derartigen Traum erfüllt haben, mit neuem Elan und vielen Erfahrungen ins Berufsleben zurückkehren. In der Volksbank Freiburg ist ein Sabbatical bei Bewerbungen jedenfalls definitiv kein Makel.

Der vermeintlich „Gescheiterte“
Das Berufsleben bedingt immer auch die Gefahr, vermeintlich zu scheitern. Jeder Jobwechsel ist mit einer sechsmonatigen Probezeit für den Arbeitgeber – wie auch den Arbeitnehmer verbunden. Erst in der Probezeit erhalten beide Seiten, egal wie professionell das Auswahlverfahren war, endgültige Klarheit darüber, ob der Job auch wirklich passt. Ist dies nicht der Fall, müssen Konsequenzen gezogen und das Arbeitsverhältnis beendet werden. Ich werte dies grundsätzlich nicht als einen Malus in einem Lebenslauf. Ein Malus wird allerdings daraus, wenn dies mehrfach passiert.
Gleiches gilt auch für eine arbeitgeberinitiierte Trennung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Hier kommt es immer auf die Gründe an. Ist der Grund betriebsbedingt, auf Basis von Fusionen oder einer Betriebsübernahme, ist dies vom Arbeitnehmer nicht zu vertreten. Bei Führungskräften ist die Luft ohnehin dünner. Stimmt hier die Basis und das Vertrauen zur obersten Führungsebene nicht mehr, fehlt einer weiteren Zusammenarbeit der Boden. Dies passiert nun einmal im Geschäftsleben und ist kein Grund, sich zu schämen.
Ich rate dazu, im Lebenslauf nicht zu versuchen, eine Kündigung und deren Gründe zu verschweigen, sondern damit offensiv umzugehen. Nur so kann für das neue Arbeitsverhältnis eine Vertrauensbasis entstehen.
Ein schwerer Makel ist hingegen jede Kündigung aus wichtigem Grund. Hier liegen im Bankbereich in der Regel immer Verstöße gegen das Bankgeheimnis oder dolose Handlungen zu Grunde. Ein neuer Job ist in unserer Branche dann genauso unrealistisch, wie bei einer Vorstrafe oder ungeordneten finanziellen Verhältnissen.
Der Jobhopper
Der Jobhopper zeichnet sich durch häufige Wechsel des Arbeitgebers aus. Aus meiner Sicht kann ein Mitarbeiter, der nicht mindestens drei Jahre in einem Unternehmen tätig war, nicht den Anspruch erheben, für seine Firma einen Mehrwert oder gar einen nachhaltigen Mehrwert erbracht zu haben. Der Wirkungsgrad und die Spuren, die ein Mitarbeiter hinterlässt, greifen jenseits der drei Jahresgrenze. Leistungsträger wird man nicht im Schnelldurchlauf. Hierzu ist es wichtig, die Unternehmenskultur zu verinnerlichen, sich ein Netzwerk aufzubauen, eine Vertrauensbasis zu schaffen, gemeinsame Erfolge zu erringen und eben auch kritische Situationen zu bewältigen. Jobhopper stehen für all dies nicht.
Besonders fatal ist der „Jobhopper“ in Führungspositionen, weil er häufig „Management by Helicopter“ betreibt: Viel Staub aufwirbeln und sich dann aus der Verantwortung stehlen. In unserer Bank haben wir eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von knapp fünfzehn Jahren. Hierauf sind wir stolz. Wir leben vom Vertrauen unserer Kunden. Dieses Vertrauen entsteht nicht mit bindungsunfähigen Mitarbeitern, die stets ihren persönlichen Vorteil in den Vordergrund stellen und alle zwei bis drei Jahre auf die „nächste Wiese“ weiterziehen. Bei uns haben Jobhopper daher keine Chance.
Fazit
Der gerade Lebenslauf ist wie vieles im Leben immer relativ zu sehen. Am Ende kommt es auf nachhaltige Leistungen im Job, intrinsische Motivation, klare Wertvorstellungen, Geradlinigkeit, Teamfähigkeit und die Fähigkeit zur Selbstreflektion an. Wer in unserer Branche erfolgreich sein will, sollte zudem ein ehrliches Interesse an Menschen haben und über gute bis sehr gute kommunikative Fähigkeiten verfügen. Menschen, die in den genannten Bereichen glaubhaft vermitteln können, etwas zu bieten und die aufgezeigten Aspekte zum Lebenslauf berücksichtigten, sollten sich um ihre berufliche Zukunft eigentlich keine Sorgen machen müssen – zumal in der Bankbranche nahezu Vollbeschäftigung herrscht.

Jens Hupperich
ist seit 2007 Personalleiter der Volksbank Freiburg. Ihm ist wichtig, die Stärken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erkennen, sie zu fördern und dort einzusetzen, wo sie Spaß und Sinnstiftung im Beruf erleben können. Privat steht für ihn seine Familie im Vordergrund.